ZUR FOTOGRAFIE VON ROMEO VENDRAME
von Angelika Affentranger-Kirchrath
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Die Fotoarbeiten von Romeo Vendrame sind das Resultat eines langwierigen Entstehungsprozesses. Gesehene Bilder werden aus dem Fluss der Zeit herausgehoben. Seine Fotografien bedeuten eine Ballung von Zeit, verdichtete Zeit. Beim Zyklus «Afterglow» – der eine Basis für sein weiteres Schaffen bildet – hat er Aufnahmen von Freunden und Bekannten übernommen und sie sich im Prozess der Bearbeitung recht eigentlich angeeignet. In diesem Zusammenhang spricht er von Engrammen – Gedächtnisspuren. Nach wie vor versteht er seine Fotografien als Kristallisationspunkte, die sich als erinnerte Bilder aus dem Vergessen herausschälen. Sie sind keineswegs präzise umrissen und auf den Bildträger gebannt, sie befinden sich zwischen Formation und Auflösung. Dies stellen wir auch bei allen seinen neueren Serien fest: den Frauengesichtern aus der Serie «the chemistry of attraction», die sich aus einem undefinierten Grund herausschälen. Sie bleiben erscheinungshaft wie die Berge aus der Serie «Berg», deren Kontext nicht auszumachen ist. Das Gesicht aus dem Zyklus «Neutrino» verstiebt in einem Lichtnebel und unterläuft so den Anspruch des Portraits, einen individuellen Ausdruck zu erfassen.  


Bei Romeo Vendrame beginnt alles ganz selbstverständlich und scheinbar absichtslos. Er blättert in der Vogue Italia. Er tut dies beiläufig, müssig fast, ein wenig wie ein Flaneur, der durch eine Stadt spaziert. Dann plötzlich stellt sich etwas ein, das das Gleichförmige unterbricht. Ein bestimmtes Bild lässt die Finger in ihrer Bewegung innehalten, es fesselt den Betrachter. Plötzlich scheint da ein Frauengesicht mehr auszusagen als alle anderen, auf das Modemass zugeschnittenen und von Modehäusern inszenierten. Es wird menschlich berührend und gleichzeitig in seiner makellosen Schönheit fast übermenschlich. Ähnliches kann sich in der Natur einstellen: ein optischer Eindruck sticht besonders ins Auge. Romeo Vendrame hält den Berg mit seiner Kamera fest und eignet sich das Gesehene an, übernimmt es in seinen Vorrat an Bildern. Beim Zyklus «the chemistry of attraction» fotografiert er ausgewählte Inserate aus Modemagazinen ab und betrachtet dann anschliessend die Dias auf dem Leuchtpult. Dabei wechseln sie den Aggregatszustand, die opake Materie des Papiers wird transluzid und immateriell, alles erscheint geistiger, konzeptioneller.

Romeo Vendrame arbeitet mit der analogen Fotografie. Die Herausforderung liegt für ihn in der Bearbeitung, in der Transformation der Vorgabe, im Prozess, innerhalb dessen er sich das Bild aneignet und dabei neu schafft. Die Bildmanipulationen geschehen gleichsam von aussen: Farbfilter heben eine bestimmte Tonalität hervor, unterschiedliche Materialien lösen die einheitliche Oberfläche des Bildes auf. Hier nun wird der Künstler zum Modelleur mit Licht, zum Forscher, der Versuchsanordnungen anstellt und die Gegebenheiten so lange abwandelt, bis sie mit seiner inneren Vorstellung zur Deckung kommen. Er verrätselt das Gesehene, er bricht das Selbstverständliche, er nimmt dem reproduzierten, von den Massenmedien vereinnahmten Bild den Klischeecharakter, füllt es an mit neuen Ausdrucksqualitäten, er macht es zu seinem und vielleicht auch zu unserem Engramm. In diesem Ansinnen verbinden sich die verschiedenen Serien zur Einheit. Die Gesichter der Frauen haben eine ähnliche Anmutung wie die Bergmassive. Beide werden sie zu einer Art Ikone, zu einer Projektion von Vorstellungen, sie wirken artifiziell und unerreichbar. Trotzdem werden sie für uns zu einem Gegenüber, genauso sinnlich wie sublim, zum offenen Bild mit Fragecharakter. Durch die Präsentation der Bergmotive hinter 3 cm Acrylglas findet eine Steigerung des Bildes ins Objekthafte statt, die allerdings das Dargestellte nicht greifbarer macht; viel eher scheint es sich unserem Zugriff noch mehr zu entziehen. Das Bild wird vollends zum Lichtbild.

Die Fotoarbeiten von Romeo Vendrame sind Zeugnis seiner besonderen Ästhetik. Seine Fotografien sind schön, daran besteht kein Zweifel, sie sind schön, ohne Wenn und Aber, ohne Ironie und Skepsis. Gerade durch diese heute schon fast provokante Haltung werden sie zu mehr als schönen Abbildern, die einem Verlangen nach gefälligem Entgegenkommen und bloss unserer Netzhaut schmeicheln. Sie gehen tiefer, sie berühren unsere Wahrnehmung und Empfindung in gleicher Weise. Romeo Vendrames Bilder mögen uns vielleicht so begleiten, wie es Robert Musil einmal so treffend umschrieben hat: «Man sollte meinen, Bilder seien das Flüchtigste von der Welt, aber eines Augenblicks ist das ganze Leben in solche Bilder aufgelöst, nur sie stehen auf dem Lebensweg, nur von ihnen zu ihnen scheint er gelaufen zu sein, und das Schicksal hat nicht Ideen und Beschlüssen gehorcht, sondern diesen geheimnisvollen, halb unsinnigen Bildern.
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